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30. Oktober 2023

Kopien ärztlicher Unterlagen für Patienten – kostenlos oder nicht?

Die erste Kopie muss kostenlos sein, so die Entscheidung des EuGH
Bild: iStock.com / Sezeryadigar
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Recht auf Auskunft
Sie waren in einem Krankenhaus oder bei einem niedergelassenen Arzt in Behandlung. Sie sind nicht sicher, ob die Behandlung wirklich fachgerecht war. Können Sie eine kostenlose Kopie der Behandlungsunterlagen verlangen, um das zu überprüfen? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) zeigt sich sehr großzügig.

➧ Was sagt das BGB zur Kopie einer Patientenakte?

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gibt folgende Regel vor: „Der Patient kann auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen. Er hat dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten.“ So steht es in § 630g Abs. 2 BGB. Danach scheint der Befund klar. Jeder Patient hat einen Anspruch auf eine Kopie seiner Patientenakte. Er muss für eine solche Kopie allerdings bezahlen.

➧ Wie regelt die DSGVO den Anspruch auf eine Kopie?

Anders sähe das jedoch aus, wenn das EU-Recht dem Patienten einen Anspruch auf eine kostenlose Kopie gibt. An dieser Stelle kommt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ins Spiel. Art. 15 DSGVO gibt jedem Betroffenen bekanntlich das Recht auf Auskunft über die Daten, die ihn betreffen. Dabei sieht die Vorschrift auch einen Anspruch auf eine Kopie vor. In Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO heißt es: „Der Verantwortliche stellt eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung.“

➧ Was sagt die DSGVO zur Kostenpflicht einer Kopie?

Das muss unentgeltlich geschehen, wie sich aus Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO ergibt. Darauf aufbauend legt Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DSGVO fest, dass lediglich „für alle weiteren Kopien“ ein angemessenes Entgelt verlangt werden kann. Im Umkehrschluss folgt daraus: Die erste Kopie ist kostenlos.

➧ Wie lautet das Ergebnis gemäß DSGVO?

EU-Recht steht über nationalem Recht, auch über dem deutschen BGB. EU-Recht hat gegenüber nationalem Recht den Vorrang. Somit scheint klar: Anders als im BGB vorgesehen, kostet einen Patienten die erste Kopie von Behandlungsunterlagen doch nichts. Denn Art. 15 DSGVO hat den Vorrang vor § 630g Abs. 2 BGB.

➧ Warum sahen einige Gericht das Thema anders?

Dieses Ergebnis wollten einige deutsche Gerichte nicht akzeptieren. Sie beharrten darauf, dass Kopien von Behandlungsunterlagen den Patienten etwas kosten. Die Kostenregelung des BGB sei hier sehr wohl maßgeblich. DSGVO hin oder her. Um dieses Ergebnis zu begründen, verwiesen sie auf zwei Argumente:

  • In Erwägungsgrund 63 Satz 1 zur DSGVO ist ausgeführt, dass das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO dazu dienen solle, die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung zu überprüfen. Um diesen Zweck gehe es jedoch in keiner Weise, wenn ein Patient mögliche Behandlungsfehler feststellen wolle.
  • Ferner sehe Art. 23 DSGVO vor, dass die Mitgliedstaaten den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO aus bestimmten Gründen einschränken könnten. Das erlaube es ihnen durchaus, abweichend von der DSGVO eine Kostenpflicht festzulegen.

➧ Wie kam die Angelegenheit zum EuGH?

In einem Rechtsstreit zwischen einem Patienten und einem Zahnarzt kam es darauf an, wie diese Fragen zu beurteilen sind. Dieser Rechtsstreit gelangte bis zum Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH nutzte die Chance, um die geschilderten Rechtsfragen dem EuGH vorzulegen. Das ist der richtige und sinnvollere Weg, um eine Klärung herbeizuführen, die in der ganzen EU verbindlich ist.

➧ Wie lautet die erste Antwort des EuGH?

Seine erste Antwort lautet: Wer Auskunft auf der Grundlage von Art. 15 DSGVO fordert, muss seinen Antrag auf Auskunft in keiner Weise begründen. Es ist seine Sache, wozu er die Auskunft verwenden will. Das ergibt sich schon daraus, dass die DSGVO Betroffene an keiner Stelle zu einer solchen Begründung verpflichtet. Deshalb kann der Verantwortliche, der die Daten verarbeitet, eine solche Begründung auch nicht verlangen.

➧ Wann sind die Erwägungsgründe der DSGVO bedeutungslos?

Erwägungsgrund 63 Satz 1 zur DSGVO könnte zwar so auszulegen sein, dass er eine derartige Begründung fordert. Darauf kommt es jedoch nicht an. Denn maßgebend dafür, was gilt, sind die Artikel der DSGVO selbst. Die Erwägungsgründe zur DSGVO erläutern diese Artikel nur. Rechtlich verbindlich sind die Erwägungsgründe dagegen nicht. Und da Erwägungsgrund 63 Satz 1 zur DSGVO dem Wortlaut von Art. 15 DSGVO widerspricht, muss man ihn schlicht ignorieren.

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➧ Wie lautet die zweite Antwort des EuGH?

Sodann wendet sich der EuGH der Frage der Kosten für eine Kopie zu. Hier verweist er zunächst auf den Wortlaut der DSGVO. Danach ist die erste Kopie personenbezogener Daten unentgeltlich. Nur bei weiteren Kopien kommt eine Kostenerhebung in Betracht. Deshalb lautet das Ergebnis, dass die erste Kopie personenbezogener Daten kostenlos sein muss.

➧ Wo enden die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten?

Dabei bleibt es, obwohl Art. 23 DSGVO den Mitgliedstaaten erlaubt, den Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO unter bestimmten Voraussetzungen einzuschränken.

Für eine derartige Einschränkung ist bei der Kostenpflicht jedoch kein Raum. Denn in diesem Punkt hat die DSGVO eine abschließende Regelung getroffen. Würde man den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, eine Kostenpflicht für Kopien einzuführen, könnten sie die Regelungen der DSGVO über die Kostenfreiheit schlicht aushebeln. Das überschreitet eindeutig ihre Regelungskompetenz.

➧ Warum ist die Entscheidung des EuGH so wichtig?

Die Entscheidung des EuGH hat weit über den medizinischen Bereich hinaus erhebliche Folgen. Nunmehr steht fest, dass kein Betroffener Auskunft darüber geben muss, warum er eine Kopie seiner Daten haben will. Dies gilt generell, also nicht nur im medizinischen Bereich.

Eine besondere Bedeutung hat das im Arbeitsrecht. Wenn einem Arbeitnehmer gekündigt wird, macht er inzwischen regelmäßig seinen Anspruch auf Auskunft geltend. Der Verzicht auf den Auskunftsanspruch ist dann ein Verhandlungsposten bei Vergleichsverhandlungen.

➧ Was ist mit Ausnahmen von der Kostenfreiheit?

Die erste Kopie personenbezogener Daten muss durchweg kostenlos erteilt werden. Ausnahmen sind nur noch selten denkbar. Eine solche Ausnahme kommt etwa in Betracht, wenn ein Antrag auf Auskunft „offenkundig unbegründet“ ist (siehe dazu Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO). Dass dies so ist, muss jedoch der Verantwortliche nachweisen. Dies dürfte ihm regelmäßig nicht gelingen.

➧ Wo finden Sie das Urteil des EuGH?

Das Urteil des EuGH vom 26. Oktober 2023 trägt das Aktenzeichen C-307/22. Es ist abrufbar unter https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=279125&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1.

Dr. Eugen Ehmann

Dr. Eugen Ehmann
Verfasst von
Dr. Eugen Ehmann
Dr. Eugen Ehmann
Dr. Eugen Ehmann ist ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet des Datenschutzes in Unternehmen & Behörden. Er ist Herausgeber eines renommierten DSGVO-Kommentars und Autor zahlreicher Beiträge in der Datenschutz PRAXIS sowie in vielen weiteren Datenschutz-Veröffentlichungen. Außerdem moderiert er seit 2003 die IDACON , den renommierten Datenschutz-Kongress.
1 Kommentar
20. Dezember 2023 | 15:05
Reinhard Knoblich
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