Arzthelferin verletzt Schweigepflicht: Kündigung!
Die Klägerin war seit über drei Jahren medizinische Fachangestellte in einer großen radiologischen Praxis. Dort arbeiten ungefähr 40 Personen. Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem die Terminverwaltung.
Interessantes Terminblatt
Am 22. Oktober 2015 sagte eine Patienten einen vereinbarten Untersuchungstermin ab. Die Patientin ist sowohl der Klägerin als auch ihrer Tochter persönlich bekannt.
Die Klägerin rief das elektronisch gespeicherte Terminblatt der Patienten auf. Auf diesen Terminblatt sind vermerkt:
- Name und Geburtsdatum der Patientin,
- zu untersuchender Körperbereich und
- das für die Untersuchung reservierte Gerät.
Weiterleitung per WhatsApp
Das Terminblatt fotografierte die Klägerin mit ihrem Smartphone und leitete es per WhatsApp an ihre Tochter weiter. Dabei brachte sie den Kommentar an „mal sehen, was die schon wieder hat“.
Beschwerde des Vaters der Patientin
Die Tochter hatte nichts Besseres zu tun, als die WhatsApp-Nachricht in ihrem Sportverein herumzuzeigen. Das erfuhr der Vater der Patientin. Er rief in der Arztpraxis an und beschwerte sich.
Rauswurf der Arzthelferin
Der Inhaber der Praxis kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 26.11.2015 außerordentlich fristlos, hilfsweise auch ordentlich.
Das Kündigungsschreiben wurde noch an diesem Tag in den Briefkasten der Klägerin geworfen. Seit Februar 2016 hat die Klägerin eine neue Arbeitsstelle in einer anderen Praxis.
Das macht nachdenklich: Schon nach wenigen Wochen fand die Frau offensichtlich völlig problemlos eine neue Stelle als Arzthelferin. Der angespannte Arbeitsmarkt in der Region Mannheim machte es möglich.
Zweistufige Prüfung der Kündigung
Sowohl das Arbeitsgericht Mannheim als auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg sind der Auffassung, dass die außerordentliche fristlose Kündigung wirksam ist und dass sie das Arbeitsverhältnis mit Ablauf dieses Tages beendet hat.
Zu diesem Ergebnis kommen sie mithilfe einer zweistufigen Prüfung, die bei einer außerordentlichen fristlosen Kündigung allgemein üblich ist.
Ab 25. Mai 2018 gilt die Datenschutz-Grundverordung (DSGVO). Das Urteil bleibt auch dann unverändert bedeutsam. DSGVO schützt sensible Daten wie etwa medizinische Diagnosen noch stärker als bisher. Und die Verletzung der Schweigepflicht durch eine Arzthelferin ist schon jetzt eine Straftat und bleibt es auch künftig (siehe § 203 Abs. 1 StGB).
Wer seine Schweigepflicht bewusst verletzt, muss deshalb auch künftig mit einer fristlosen Kündigung rechnen.
Stufe 1: Generelle Prüfung
In einer ersten Stufe prüft das Gericht, ob der Sachverhalt „an sich“ (also typischerweise und ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls) geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine solche Kündigung darzustellen.
Stufe 2: Situation des Einzelfalls
In einer zweiten Stufe wird geprüft, ob dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und der beiderseitigen Interessen zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist fortzusetzen.
zur Stufe 1: schwere Pflichtverletzung gegeben
Hinsichtlich der ersten Prüfungsstufe hat das Landesarbeitsgericht keinen Zweifel daran, dass das Verhalten der Klägerin vom Grundsatz her eine fristlose Kündigung rechtfertigt.
Die Klägerin hat ihre Verschwiegenheitspflicht in schwerwiegender Weise verletzt. Es hat sie nicht gekümmert, ob sie dazu berechtigt war. Ihr war sehr wohl bewusst, dass sie möglicherweise ihre Verschwiegenheitspflicht verletzt. Sie nahm dies aber in Kauf. Dies ist als vorsätzliches Handeln anzusehen.
Besondere Rolle der Schweigepflicht
Selbst einem Laien wäre klar gewesen, dass Patienten-Namen die Tochter einer medizinischen Fachkraft nichts angehen. Das gilt erst recht, wenn die Patientin der Fachkraft und ihrer Tochter persönlich bekannt sind. Für eine medizinische Fachkraft selbst konnte an alldem ohnehin kein Zweifel bestehen.
Das Landesarbeitsgericht hält hierzu in allgemeiner Form Folgendes fest:
- „Es stellt grundsätzlich einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses dar, wenn die medizinische Fachangestellte einer Arztpraxis Patientendaten unbefugt nach außen gibt.
- Die Gewährleistung der ärztlichen Schweigepflicht auch durch das nichtärztliche Personal ist grundlegend für das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.
- Betreiber medizinische Einrichtungen haben daher ein gewichtiges Interesse daran, dieses Vertrauen bei Störungen durch Preisgabe von Patientendaten möglichst schnell wieder herzustellen.“
zur Stufe 2: keine mildernden Umstände vorhanden
In der zweiten Prüfungsstufe stellt das Landesarbeitsgericht fest, dass es dem Arbeitgeber nicht zumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Dies ergibt sich aus einer Abwägung der Interessen des Arbeitgebers mit den Interessen der Klägerin.
Eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hätte das Risiko mit sich gebracht, dass Patienten oder überweisende Ärzte, die sich noch an den Bruch der Schweigepflicht erinnern, erneut mit der Klägerin in Berührung gekommen wären.
Sie hätten dann den Eindruck gewonnen, dass der Schutz der Patientendaten in der Praxis nach wie vor nicht gewährleistet ist.
Abmahnung kein ausreichendes Mittel
Der Arbeitgeber war nach den Umständen des konkreten Falls auch nicht verpflichtet, sich auf eine Abmahnung der Klägerin zu beschränken und auf eine Kündigung zu verzichten.
Dabei sind nach Auffassung des Gerichts folgende Aspekte maßgebend:
- Eine Abmahnung hätte das Vertrauen des Arbeitgebers in die Diskretion der Klägerin nicht wiederherstellen können.
- Der vertrauliche Umgang mit Patientendaten ist für eine Arztpraxis grundlegend. Deshalb ist sich jede Mitarbeiterin bewusst, dass sie ihr Arbeitsverhältnis infrage stellt, wenn sie Daten unbefugt nach außen weitergibt.
- Wegen der grundlegenden Bedeutung der Schweigepflicht beeinträchtigt eine Verletzung der Schweigepflicht das Vertrauen des Arbeitgebers in die Zuverlässigkeit seiner Angestellten besonders nachhaltig.
Im Ergebnis ist die außerordentliche fristlose Kündigung somit gerechtfertigt. Sie hat das Arbeitsverhältnis der Klägerin wirksam beendet.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 11.11.2016 – 12 Sa 22/16 ist bisher nur wenig öffentlich beachtet worden. Es lässt sich abrufen unter http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=22250.