DSGVO-Auskunftsanspruch
➧ Der Kläger will alles wissen
Der Kläger ist Vorstand einer Aktiengesellschaft. Er verlangt vom zuständigen Finanzamt „die Überlassung von Ablichtungen aller gespeicherten Informationen“ zu dieser Aktiengesellschaft. Dabei geht er erkennbar davon aus, dass sich alle diese Informationen auch auf seine Person beziehen.
➧ Das Finanzamt bietet eine Akteneinsicht an
Das Finanzamt übersandte ihm lediglich einige Übersichten mit Grunddaten der Aktiengesellschaft und eine Auflistung von Daten über Steuerbescheide. Im Übrigen bot es ihm an, vor Ort im Finanzamt Einsicht in die dort vorhandenen Akten zu nehmen. Eine Übersendung aller Akten an ihn lehnte das Finanzamt ab.
➧ Das reicht dem Kläger nicht
Der Kläger nutzte die Möglichkeit zur Akteneinsicht vor Ort im Finanzamt. Gleichwohl blieb er aber bei seiner Forderung, dass das Finanzamt ihm Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO erteilen müsse. Da sich das Finanzamt weigerte, kam die Angelegenheit bis zum Bundesfinanzhof.
➧ Das Gericht bejaht den Auskunftsanspruch
Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs steht dem Kläger der geltend gemachte Auskunftsanspruch zu. Alle Einwendungen, die das Finanzamt dagegen erhebt, weist das Gericht zurück. Was das Finanzamt in dieser Hinsicht versucht hat, liest sich wie eine Checkliste vergeblicher Abwehrversuche.
➧ Die DSGVO ist anwendbar
In Finanzämtern gibt es – wohl in der Regel aus früheren Zeiten – noch viele Papierakten. Die DSGVO ist jedoch auch auf personenbezogene Daten anwendbar, die in solchen Akten enthalten sind. Hauptargument des Gerichts dafür: Das Besteuerungsverfahren ist zumindest teilweise digitalisiert und die Papierakten dienen der Durchführung dieses digitalisierten Besteuerungsverfahrens. Das trifft im Ergebnis mit Sicherheit zu. Die Begründung muss man jedoch – vorsichtig gesagt – als unvollständig bezeichnen.
➧ Die Begründung des Gerichts bleibt schwach
Das Gericht kann hier so verstanden werden, als komme die DSGVO nur zur Anwendung, wenn irgendwo eine elektronische Verarbeitung mit im Spiel ist. Ein Blick in Art. 2 Abs. 1 DSGVO zeigt jedoch, dass dies nicht zutrifft. Für die Anwendbarkeit der DSGVO reicht es aus, dass personenbezogene Daten in einem „Dateisystem“ gespeichert sind.
➧ Auch Akten bilden ein „Dateisystem“
Dieser Begriff wiederum erfasst „jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten“ (siehe Art. 4 Nr. 6 DSGVO). Mit keinem Wort ist dort die Rede davon, dass es sich um eine elektronisch abgebildete Struktur handeln müsste. Vielmehr liegt ein „Dateisystem“ auch dann vor, wenn Papierakten systematisch geordnet sind, etwa nach Namen oder Aktenzeichen. Die DSGVO gilt daher auch dann, wenn keine elektronische Verarbeitung der Daten stattfindet.
➧ Das ist für Unternehmen wichtig
Auch in Unternehmen gibt es oft große Altbestände an Leitzordnern, Aktenmappen und dergleichen. Besonders häufig scheint dies im Personalbereich der Fall zu sein. Die DSGVO und damit auch der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO gelten im Hinblick auf solche Daten vollem Umfang. Einzige, hoffentlich rein theoretische Ausnahme: Es existiert ein Papierhaufen, der so in Unordnung geraten sind, dass jeder Versuch einer Auswertung zum Scheitern verurteilt ist.
➧ Auch ein sehr großer Aufwand ist gleichgültig
Art. 14 DSGVO enthält eine Informationspflicht für den Fall, dass personenbezogene Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden. Diese Informationspflicht besteht dann nicht, wenn die Erteilung der Informationen „einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde“ (siehe Art. 14 Abs. 5 Buchstabe b Halbsatz 1, erste Alternative DSGVO).
Art. 15 DSGVO, der das Auskunftsrecht der betroffenen Person regelt, enthält eine solche Einschränkung nicht. Das Finanzamt hatte die Hoffnung, dass die Einschränkung, die bei Art. 14 DSGVO gilt, im Rahmen des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO entsprechend (in der Rechtssprache ausgedrückt: analog) angewandt werden könnte. Davon will das Gericht indessen nichts wissen:
- 15 DSGVO enthält keine „planwidrige Regelungslücke“. Das wäre jedoch die Voraussetzung für eine analoge Anwendung der Einschränkung, die in Art. 14 DSGVO enthalten ist.
- Die Informationspflicht gemäß Art. 14 DSGVO und das Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO sind zwei völlig verschiedene Dinge.
- Die Informationspflicht trifft den Verantwortlichen kraft Gesetzes. Der Anspruch auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO besteht dagegen nur auf Antrag der betroffenen Person.
- Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO erstreckt sich darauf, welche personenbezogenen Daten ganz konkret verarbeitet wurden. Die Information nach Art. 14 DSGVO liefert dagegen nur allgemeine Aussagen über „die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden“ (siehe Art. 14 Abs. 1 Buchstabe d DSGVO).
- Damit bestehen so starke strukturelle Unterschiede zwischen den zwei Regelungen, dass Einschränkungen der Informationspflicht nicht analog auf den Auskunftsanspruch angewandt werden können.
➧ Das unterstreicht das Gericht nochmals gesondert
Offensichtlich um keinerlei Zweifel daran zulassen, dass der Aufwand des Finanzamts schlicht egal ist, nimmt das Gericht Bezug auf Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses. Dabei hebt es hervor:
- Art. 12 DSGVO ergänzt Art. 15 DSGVO und gibt zusätzliche Modalitäten für die Ausübung des Auskunftsrechts nach Art. 15 DSGVO vor.
- Art. 12 DSGVO sagt kein Wort dazu, dass einem Auskunftsverlangen der Einwand entgegengehalten werden könne, die Auskunft verursache einen unverhältnismäßigen Aufwand.
- Vielmehr gilt laut Gericht: „Das Auskunftsrecht steht nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit in Hinblick auf die Anstrengungen, die der Verantwortliche unternehmen muss, um dem Antrag der betroffenen Person nachzukommen.“
Das Gericht nimmt hierfür Bezug auf die Leitlinien 01/2022 des Europäischen Datenschutzausschusses zu den Rechten der betroffenen Person, Version 2.1, S. 5. Sie sind hier abrufbar: https://www.edpb.europa.eu/our-work-tools/our-documents/guidelines/guidelines-012022-data-subject-rights-right-access_de .
➧ Das ist für Unternehmen wichtig
Jeglicher Versuch, einen Auskunftsanspruch unter Hinweis auf den übermäßigen Aufwand abzuwehren, den er tatsächlich oder angeblich verursacht, erscheint inzwischen sinnlos. Vielmehr gilt: Wer sehr viele personenbezogene Daten verarbeitet und diese möglicherweise auch noch schlecht strukturiert und damit schlecht auswertbar aufbewahrt, muss eben mit dem Aufwand leben, den eine Auskunftsforderung verursacht.
➧ Akteneinsicht und Auskunft sind zwei Paar Stiefel
Das Finanzamt hatte dem Betroffenen angeboten, die ihn betreffenden Akten vor Ort im Finanzamt selbst durchzusehen. Diese Möglichkeit hatte er auch genutzt. Damit stellt sich die Frage, ob sein Auskunftsanspruch damit erfüllt ist. Nach Auffassung des Gerichts ist das nicht der Fall. Vielmehr sei die Möglichkeit zur Akteneinsicht gegenüber dem Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO ein „Aliud“. Dieser lateinische Fachbegriff heißt sinngemäß übersetzt „was ganz anderes“. Das Gericht begründet das so:
- Der Anspruch auf Auskunft erfasst nur die personenbezogenen Daten, die gespeichert sind. Eine Akteneinsicht bezieht sich dagegen auf alles, was in einer Akte vorhanden ist, auch auf Daten ohne Personenbezug.
- Dieser Unterschied gilt auch für den Fall, dass im Rahmen des Auskunftsrechts ein Anspruch auf eine Kopie besteht. Dies bedeutet dann noch lange nicht, dass deshalb die ganze Akte kopiert werden müsste. Aktenteile ohne Personenbezug können vielmehr beim Kopieren weggelassen werden.
- Eine Akteneinsicht bietet lediglich die vorübergehende Möglichkeit zur Wahrnehmung der vorhandenen Daten. Eine Auskunft führt dagegen dazu, dass die betroffene Person dauerhaft Zugriff auf die ihr überlassenen Daten hat.
➧ Das ist für Unternehmen wichtig
Manchmal betrifft ein Anspruch auf Auskunft ganze „Berge von Akten“. Dann wäre es schön, wenn man der betroffenen Person einfach anbieten könnte, doch einmal vorbeizukommen. Da könnte sie dann alles selbst durchsehen und sich gerne auch das vor Ort kopieren, was sie haben will. Leider erfüllt ein solches Angebot den Anspruch auf Auskunft jedoch nicht! Auf diese Weise lässt sich der Aufwand nicht auf die betroffene Person abwälzen.
➧ Betroffene können alle Daten verlangen
„Verarbeitet der Verantwortliche eine große Menge von Informationen über die betroffene Person, so sollte er verlangen können, dass die betroffene Person präzisiert, auf welche Information oder welche Verarbeitungsvorgänge sich ihr Auskunftsersuchen bezieht, bevor er ihr Auskunft erteilt.“ So lautet Erwägungsgrund 63 Satz 7 zur DSGVO. Dies weckte beim Finanzamt die Hoffnung, dass die betroffene Person ihre Forderung nach Auskunft in irgendeiner Weise präzisieren und damit begrenzen muss. Diese Hoffnung enttäuscht das Gericht jedoch mit klaren Worten:
- Der Wortlaut des Art. 15 DSGVO enthält keinen Anhaltspunkt für eine solche Einschränkung.
- Die Abwägungsgründe von EU-Verordnungen wie etwa der DSGVO sind rechtlich nicht verbindlich.
- Sie dürfen nicht herangezogen werden, um von den Bestimmungen der DSGVO abzuweichen oder um diese Bestimmungen in einer Art und Weise auszulegen, die ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht.
- Nach dem System der DSGVO müsste eine solche Beschränkung des Auskunftsanspruchs nämlich ausdrücklich gesetzlich geregelt sein (siehe Art. 23 Abs. 2 Buchstabe c DSGVO). Das ist jedoch nicht der Fall. Ein Erwägungsgrund ist keine solche gesetzliche Regelung.
➧ Das ist für Unternehmen wichtig
Alle Versuche, betroffene Personen zu einer Präzisierung (sprich: Einschränkung) ihrer Forderung nach Auskunft zu zwingen, sind sinnlos. Was allerdings erfolgreich sein kann:
- Wer auf einen Auskunftsantrag freundlich reagiert und zügig nachfragt, ob es vielleicht nur um einige bestimmte Dokumente geht, die man dann auf Wunsch gerne rasch zur Verfügung stellen würde, hat damit erstaunlich oft Erfolg.
- Denn viele betroffene Personen wollen in Wirklichkeit gar keinen „Berg von Daten“, sondern nur ganz bestimmte Informationen.
Genauso klar gilt aber auch: Wenn eine betroffene Person eine solche Einschränkung ablehnt, ist es eben so. Dann ist Auskunft über alle Daten des Antragstellers zu erteilen, die vorhanden sind. Selbst wenn der Aufwand jeden Rahmen sprengt, den man für vertretbar halten würde.
➧ Hier ist das Urteil zu finden
Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14.1.2025 – IX R 25/22 ist abrufbar unter https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202510038/.