Unterlassungsverfügung bei falscher Aussage einer KI
➧ Am Anfang steht eine großartige Geschäftsidee
Ein Informationsdienst betreibt ein Internetportal, auf dem Wirtschaftsinformationen über deutsche Unternehmen abgerufen werden können. Eine Software analysiert zu diesem Zweck vollautomatisch die Pflichtveröffentlichungen aus dem Bundesanzeiger, dem Handelsregister und dem Insolvenzregister. Die Software vernetzt diese Daten registerübergreifend und stellt sie übersichtlich dar. Abgerufen werden können sie mithilfe einer Eingabemaske. Dort geben die Nutzer geeignete Suchbegriffe ein, etwa den Namen eines Unternehmens.
➧ Ein Disclaimer soll jede Haftung vermeiden
Der Informationsdienst ahnte, dass es zu fehlerhaften Ergebnissen kommen könnte. Deshalb wies er in seinen Nutzungsbedingungen auf einige Tücken der abrufbaren Ergebnisse hin: „Sie werden durch vollständig automatisierte Analyse gewonnen und können teils oder auch weitgehend fehlerbehaftet sein.“ Jegliche Haftung für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der bereitgestellten Informationen schlossen die Nutzungsbedingungen vorsichtshalber aus.
➧ Die KI verwechselt zwei Unternehmen
Kläger ist ein mittelständisches Familienunternehmen, das Wintergärten und Terrassendächer baut. Diesem Unternehmen geht es wirtschaftlich gut. Dennoch war über das Internetportal folgender Hinweis zu diesem Unternehmen abrufbar: „Es ist die Löschung der … Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit … beabsichtigt.“ Diese Behauptung beruhte auf einem Zuordnungsfehler bei der Verknüpfung verschiedener Datenbanken. In Wirklichkeit betraf der Hinweis ein ganz anderes Unternehmen.
➧ Das Familienunternehmen verlangt Unterlassung
Das Familienunternehmen wies den Informationsdienst auf die Verwechslung hin. Der Informationsdienst löschte unverzüglich die falsche Mitteilung und nahm eine Sperrung im EDV-System vor, um die weitere Verbreitung der unrichtigen Information zu verhindern. Damit hielt er die Angelegenheit für erledigt. Das Familienunternehmen war jedoch in keiner Weise zufrieden. Es verlangte eine förmliche Unterlassungserklärung des Informationsdienstes mit Zusage einer Vertragsstrafe für den Fall eines erneuten Verstoßes. Der Informationsdienst weigerte sich. Deshalb verklagte ihn das Familienunternehmen auf Unterlassung.
➧ Das Gericht fällt eine klare Entscheidung
Das Gericht konfrontierte den Informationsdienst mit folgender Entscheidung: „[Der Informationsdienst] wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft Monate, zu unterlassen, die Behauptung aufzustellen, die Klägerin würde wegen Vermögenslosigkeit … [im Handelsregister] gelöscht.“ Eine etwaige Ordnungshaft würde dabei gegen den oder die Geschäftsführer des Informationsdienstes verhängt werden.
➧ Rechte des Familienunternehmens sind verletzt
„Als mittelständisches Wirtschaftsunternehmen lebt die Klägerin von ihrem Ruf“, stellt das Gericht kurz und knapp fest. Zwar sei das Wirtschaftsunternehmen „nur“ eine juristische Person und kein Mensch. Dennoch könne es sich wegen seiner besonderen Situation darauf berufen, dass sein „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ verletzt sei. Daraus ergebe sich ein Anspruch auf Unterlassung falscher Behauptungen über die Lage des Unternehmens. Denn, so das Gericht: Die Aussage, eine Löschung des Unternehmens wegen Vermögenslosigkeit stehe bevor, wirke sich abträglich auf sein Ansehen in der Öffentlichkeit und seine Kreditwürdigkeit aus.
➧ Der Informationsdienst nahm den Mund recht voll
Unvoreingenommene Beobachter mussten die negative Behauptung als zuverlässig ansehen. Auf seiner Internetseite erläuterte der Informationsdienst, er analysiere „Handelsregisterbekanntmachungen und andere Pflichtveröffentlichungen deutscher Unternehmen, um Wirtschaftsinformationen zu gewinnen, insbesondere zu finanziellen Kennzahlen und zu Zusammenhängen zwischen Firmen untereinander sowie zu Personen.“ Dazu würden „Methoden der Big-Data-Verarbeitung und der Künstlichen Intelligenz (KI) verwendet.“ Die Begriffe „Big-Data“ und „Künstliche Intelligenz (KI)“ waren dabei fett gedruckt.
➧ Er verbreitete jedoch falsche Tatsachen
Die Aussage, dass die Löschung des Familienunternehmens im Handelsregister bevorstehe, stellt eine falsche Tatsachenbehauptung dar. Der Informationsdienst räumt selbst ein, dass diese Aussage nicht zutrifft. Ein Gewerbetreibender muss nicht hinnehmen, dass seine wirtschaftliche Stellung durch falsche Tatsachenbehauptung gelöscht wird.
➧ Beim Einsatz von KI gibt es keine Ausflüchte
Der Informationsdienst hat bewusst Verfahren der Künstlichen Intelligenz eingesetzt, um Anfragen zu beantworten. Diese Verfahren bündeln Informationen aus Pflichtveröffentlichungen zu Unternehmen und verknüpfen sie miteinander. Der Informationsdienst – so das Gericht – kann sich nicht darauf zurückziehen, er sei an diesem automatischen Vorgang und dem dabei verursachten Fehler nicht beteiligt gewesen. Vielmehr ist er dafür verantwortlich, dass das Verfahren unzulänglich programmiert war und deshalb den Zuordnungsfehler nicht erkannt hat.
➧ Es besteht Wiederholungsgefahr
Ein Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass Wiederholungsgefahr besteht. Eine solche Wiederholungsgefahr wird dabei vermutet. Dem Informationsdienst ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Vielmehr hat er sogar selbst eingeräumt, dass es aufgrund von Fehlern im elektronischen Handelsregister auch künftig „zu falschen Anzeigen“ auf seiner Internetseite kommen könne.
➧ Die DSGVO kann relevant werden
Für Daten einer juristischen Person gilt die DSGVO nicht. In Erwägungsgrund 14 Satz 2 zur DSGVO heißt es klar: „Diese Verordnung gilt nicht für die Verarbeitung personenbezogener Daten juristischer Personen.“ Deshalb musste das Gericht die DSGVO im vorliegenden Fall nicht berücksichtigen. Gerade bei Familienunternehmen kann es jedoch vorkommen, dass die Bezeichnung einer juristischen Person den Namen eines lebenden Menschen enthält. Dann ist im Zweifel davon auszugehen, dass es zumindest auch um Daten dieser natürlichen Person geht. Als Folge davon wäre die DSGVO anwendbar. Von Bedeutung ist dies beispielsweise für Schadensersatzansprüche gemäß Art. 82 DSGVO.
➧ So ist die Entscheidung zu finden
Der Beschluss des Landgerichts Kiel vom 29.2.2024 trägt das Aktenzeichen 6 O 151/23. Er ist bei Eingabe des Aktenzeichens in einer Suchmaschine leicht zu ermitteln.