Reicht eine bloße Entschuldigung?
➧ Ein Video imitiert einen Journalisten
Eine Verbraucherschutzbehörde in Lettland lässt einen Journalisten in einem Videoclip imitieren. Sie stellt diesen Videoclip auf ihre Homepage. Der Journalist fordert von der Behörde, dass sie ihn löscht. Außerdem verlangt er eine Entschuldigung sowie „immateriellen Schadensersatz“, also Schmerzensgeld, in Höhe von 2000 €. Die Behörde stellt sich stur und lehnt alles ab. Deshalb geht der Journalist vor Gericht.
➧ In der ersten Instanz erreicht er einiges
In der ersten Instanz erzielte der Journalist zumindest einen gewissen Erfolg. Dieses Gericht verurteilte die Behörde zur Löschung des Videoclips. Außerdem sprach sie dem Journalisten ein Schmerzensgeld in Höhe von 100 € zu. Ferner verurteilte es die Behörde dazu, sich öffentlich bei dem Journalisten zu entschuldigen.
➧ In der zweiten Instanz bleibt davon kaum etwas
Die Behörde gingen die zweite Instanz. Dort ging es für den Journalisten weniger gut aus. Das Gericht der zweiten Instanz bestätigte zwar die Verurteilung zur Löschung des Videoclips. Eine Geldzahlung als Schadensersatz lehnte es jedoch ab. Es verurteilte die Verbraucherschutzbehörde lediglich dazu, sich öffentlich bei dem Journalisten zu entschuldigen.
➧ Die dritte Instanz fragt beim EuGH an
Gegen dieses Urteil erhob der Journalist Beschwerde zum obersten Gericht Lettlands als dritter und letzter Instanz. Dieses Gericht war sich unsicher, wie die Regelungen der DSGVO über die Gewährung von Schadensersatz bei Datenschutzverstößen auszulegen sind. Deshalb wandte es sich an den EuGH. Vom EuGH möchte es vor allem wissen, ob es denkbar wäre, dass eine bloße Entschuldigung der Behörde als „immaterieller Schadensersatz“ ausreicht.
➧ Ausgangspunkt ist Art. 82 DSGVO
„Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen“. Diese knappe Formulierung des Art. 82 Absatz 1 Satz 1 DSGVO wirkt auf den ersten Blick sehr klar. Dennoch stellen sich erhebliche Fragen, wenn die Regelung konkret anzuwenden ist.
➧ Maßgeblich ist ein Dreischritt
Laut EuGH gewährt Art. 82 DSGVO nur dann einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn die folgenden drei Voraussetzungen gemeinsam („kumulativ“) erfüllt sind:
- Es muss zu einem Verstoß gegen Bestimmungen der DSGVO gekommen sein.
- Daraus muss ein Schaden entstanden sein.
- Der Verstoß gegen die DSGVO muss die Ursache für den Schaden sein.
➧ Weitere Voraussetzungen gibt es nicht
Die lettischen Gerichte konnten bisher offensichtlich nicht feststellen, dass der Ruf, die Ehre oder die Würde des Journalisten durch den Videoclip verletzt wurde. Deshalb fragt das oberste Gericht Lettlands, ob ein Verstoß gegen die DSGVO erst dann vorliegt, wenn solche Folgen nachweisbar sind.
Das verneint der EuGH eindeutig. An irgendwelche zusätzliche Voraussetzungen ist ein Verstoß gegen die DSGVO nicht geknüpft. Es genügt für einen Verstoß, dass Daten einer Person ohne rechtfertigenden Grund verarbeitet wurden.
➧ Der entstandene Schaden bleibt unklar
Worin der konkrete Schaden bestehen soll, den der Journalist erlitten hat, formuliert das oberste Gericht Lettlands nicht klar. Der EuGH musste sich mit dieser Frage nicht im Detail befassen. Denn seine Aufgabe besteht hier lediglich darin, Fragen zur Auslegung der DSGVO zu beantworten. Die endgültige Entscheidung des konkreten Falles liegt dagegen bei dem Gericht, das ihm diese Fragen gestellt hat.
➧ Der EuGH klärt allgemeine Maßstäbe
Ein Schaden könnte etwa darin bestehen, dass der Journalist lächerlich gemacht worden ist. Für den Fall, dass ein Schaden nachzuweisen ist, ruft der EuGH folgende Punkte in Erinnerung:
- Auch für einen geringfügigen Schaden besteht Anspruch auf Schadensersatz. Es gibt insoweit keine „Bagatellgrenze“.
- Der Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat ausschließlich eine „ausgleichende Funktion“. Es gibt also keine „Strafzuschläge“, etwa bei einem besonders niederträchtigen Verhalten oder dergleichen.
- Die DSGVO enthält keine Festlegungen dafür, wie ein solcher Ausgleich im Einzelfall aussehen kann.
All diese Punkte sind nicht neu. Der EuGH hat sie schon in früheren Entscheidungen herausgearbeitet. Er fasst sie lediglich nochmals zusammen.
➧ Eine Entschuldigung kann ausreichen
Unter der Voraussetzung, dass eine Entschuldigung einen entstandenen Schaden vollständig ausgleicht, reicht sie als Schadensersatz aus. Dies beruht auf der eben geschilderten, ausschließlich ausgleichenden Funktion des Schadensersatzes gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO. Das jeweilige Gericht muss aber in eigener Verantwortung prüfen, ob eine Entschuldigung den Schaden im konkreten Fall wirklich vollständig ausgleicht.
➧ Der Schadensausgleich ist zentral
Großen Wert legt EuGH darauf, dass der Anspruch auf DSGVO-Schadensersatz einen etwa entstandenen Schaden vollständig ausgleichen muss, er aber keine zusätzliche „strafende Funktion“ hat. Daraus zieht er mehrere Schlussfolgerungen:
- Die Motive des Verantwortlichen spielen für den Inhalt des Schadensersatzanspruchs keine Rolle.
- Die Frage, ob der Verantwortliche vorsätzlich oder nur fahrlässig gegen die DSGVO verstoßen hat, ist deshalb ohne Belang.
- „Edle Motive“ des Verantwortlichen führen andererseits auch nicht dazu, dass es dafür so etwas wie einen „Abschlag“ beim Anspruch auf Schadensersatz geben könnte.
➧ Die Schlussfolgerungen sind recht deutlich
Auf den ersten Blick mögen die Ausführungen des EuGH eher abstrakt wirken und man stellt sich die Frage, wie sie das Ergebnis des konkreten Falles beeinflussen werden. Insofern ist Folgendes zu erwarten:
- Klar scheint, dass das Imitieren des Journalisten gegen die DSGVO verstoßen hat. Darin liegt eine Verarbeitung seiner Daten, nämlich der Daten über sein Verhalten.
- Ein rechtfertigender Grund für diese Verarbeitung ist nicht zu erkennen. Insbesondere hat eine Behörde (!) nicht die Aufgabe, Videos von der Art zu veröffentlichen, wie man sie in Deutschland etwa aus der „Heute-Show“ kennt.
- Genau prüfen müssen wird das zuständige lettische Gericht, ob aus dieser rechtswidrigen Verarbeitung von Daten für den Journalisten ein Schaden entstanden ist. Er könnte beispielsweise darin liegen, dass er lächerlich gemacht wurde. Sollte sich ein solcher Schaden nicht nachweisen lassen, hätte sich die Frage nach einem Schadensersatz von vornherein erledigt.
- Falls ein Schaden nachzuweisen ist, muss die Behörde diesen Schaden ausgleichen – nicht mehr und nicht weniger. Sie kann nicht mit einem „Nachlass“ dafür rechnen, dass sie als Verbraucherschutzbehörde möglicherweise einen „edlen Zweck“ verfolgt hat. Sie muss aber auch keinen „Zuschlag“ befürchten, sollte sie die DSGVO vorsätzlich verletzt haben.
- Falls eine Entschuldigung den Schaden ausgleichen könnte, würde sie einen ausreichenden Schadensersatz darstellen. Nötig wäre dann eine öffentliche Entschuldigung, also nicht etwa nur ein nettes Schreiben der Behörde an den Journalisten.
➧ Die Arbeit der Medien bleibt unberührt
Für die Arbeit von Medien, insbesondere für Darstellungen in satirischen Sendungen und dergleichen, hat das Urteil des EuGH keine Folgen. Die allgemeinen Vorgaben der DSGVO gelten insoweit nur mit Abweichungen und Einschränkungen. Dies sieht Art. 85 DSGVO so vor.
➧ So ist das Urteil zu finden
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 4.10.2024 ist bei Eingabe des Aktenzeichens C-507/23 leicht im Internet zu finden.