Fristlose Kündigung: Videoaufnahmen als Beweismittel
Verdacht gegen zwei Kassiererinnen
Ein Supermarkt hatte den Verdacht, dass die zwei Kassiererinnen A und B im Kassenbereich immer wieder Zigaretten stehlen. Um ihnen das nachzuweisen, ließ er für den Zeitraum vom 15. bis 19 Dezember 2013 eine Videoüberwachung installieren. Der Betriebsrat hatte dieser Maßnahme zugestimmt.
Überführt wird aber eine dritte Kassiererin
Am 18. Dezember 2013 zeigte sich bei der Videoüberwachung ein völlig unerwartetes Ergebnis: Auf den Aufnahmen war deutlich zu sehen, wie eine ganz andere Kassiererin, nämlich C, im Zusammenhang mit Pfandflaschen Geld unterschlägt. Das lief wie folgt ab:
- C zog eine „Musterpfandflasche“, die sich an ihrer Kasse befand, insgesamt 13 Mal über den Kassenscanner.
- Dann führte sie eine Leergutregistrierung durch.
- Danach öffnete sie die Kassenschublade und entnahm das passende „Pfandgeld“ für 13 Pfandflaschen, nämlich 3,25 €.
- Das Geld legte sie zunächst in die Nähe der Kasse. Später steckte sie es sich in ihre Tasche.
Fristlose Kündigung
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts rechtfertigt dieses Verhalten trotz des geringen Schadens eine fristlose Kündigung.
Dabei stellt es vor allem darauf ab, dass C als stellvertretende Filialleiterin und Kassiererin eine besondere Vertrauensstellung innehatte. Deshalb müsse der Arbeitgeber sicher sein können, dass sie uneingeschränkt vertrauenswürdig ist, vor allem bei der Bedienung der Kasse.
„Zufallsfund“ als zulässiges Beweismittel?
Diese Auffassung entspricht der üblichen Rechtsprechung und soll hier nicht näher dargestellt werden. Eine genaue Diskussion verdient dagegen die Frage, ob die Videoaufnahmen vom 18. Dezember als Beweismittel verwendet werden können. Denn immerhin entstanden diese Aufnahmen aus einem ganz anderen Anlass.
Es ging um die Aufklärung eines Verdachts gegen die Kassiererinnen A und B. Von einem Verdacht gegen C war keine Rede, als das Überwachungssystem installiert wurde. Insofern handelt es sich um einen sogenannten „Zufallsfund“.
Bundesarbeitsgericht: ja!
Ob Videoaufnahmen auch in einer solchen Situation als Beweismittel verwendet werden dürfen, ist umstritten. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist das jedenfalls im vorliegenden Fall möglich. Das Gericht begründet dies wie folgt:
- Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass Beweismittel, die vorhanden sind, auch vor Gericht verwendet werden dürfen. Dies ergibt sich aus dem Anspruch des Arbeitgebers auf rechtliches Gehör. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist im Grundgesetz verankert (siehe Art. 103 Abs. 1 GG).
Beweisverwertungsverbot nur als Ausnahme
- Dass abweichend von diesem Grundsatz ein Beweismittel nicht verwendet werden darf, also ein sogenanntes „Beweisverwertungsverbot“ greift, bedarf einer besonderen Begründung.
- Das Bundesdatenschutzgesetz enthält keine Aussage dazu, ob und unter welchen Bedingungen personenbezogene Daten als Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren verwendet werden dürfen.
Verfassungsrechtliche Grundsätze
- Entscheidend ist somit, ob verfassungsrechtliche Grundsätze es gebieten, die Aufnahmen nicht als Beweismittel zu verwenden.
- Daher ist zu prüfen, ob es mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Kassiererin zu vereinbaren ist, wenn heimliche Videoaufnahmen als Beweismittel verwendet werden.
- Ein solches Vorgehen greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.
- Dem stehen das Interesse des Arbeitgebers an der Verwertung des Beweismittels und das Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege gegenüber.
- Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber nicht unrechtmäßig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kassiererin eingegriffen.
Rolle von § 32 BDSG
Gemäß § 32 Abs.1 Satz 2 BDSG ist es erlaubt, „zur Aufdeckung von Straftaten“ personenbezogene Daten zu erheben, also auch Videoaufnahmen anzufertigen.
Genau dies hat der Arbeitgeber im vorliegenden Fall getan. Die verdeckte Videoüberwachung wurde durchgeführt, weil es kein anderes Mittel mehr gab, um die aufgetretenen Inventurdifferenzen aufzuklären.
Dass die Überwachung rechtmäßig angeordnet wurde, führt dazu, dass sie gegenüber allen Mitarbeitern gerechtfertigt ist, die von ihr erfasst werden. Damit ist sie auch gegenüber C gerechtfertigt.
Generelle Wirkung einer rechtmäßigen Anordnung
Mit anderen Worten: Das Gericht geht davon aus, dass eine einmal rechtmäßig angeordnete Videoüberwachung auch dann rechtmäßig bleibt, wenn sie sich unerwartet auf einen Arbeitnehmer auswirkt, wegen dem sie gar nicht angeordnet wurde.
Das Gericht drückt dies wie folgt aus: Wurde eine Videoüberwachung rechtmäßig angeordnet, rechtfertigt sie auch „unvermeidbare Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte mitbetroffener Arbeitnehmer.“
§ 6b BDSG ohne Bedeutung
Ohne Bedeutung sind nach Auffassung des Gerichts die Regelungen in § 6b BDSG (Videoüberwachung öffentlicher Räume). Zwar ist der Kassenbereich ein öffentlicher Raum. Denn Kunden können und sollen ihn betreten. § 32 BDSG ist aber eine eigenständige Regelung für den Umgang mit Daten von Arbeitnehmern. Sie hat deshalb Vorrang vor § 6b BDSG.
Beide Vorschriften haben unterschiedliche Zielsetzungen:
- § 32 BDSG soll einen Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sicherstellen.
- § 6b BDSG soll dagegen die Allgemeinheit davor schützen, dass die Videoüberwachung im öffentlichen Bereich ausufert.
Sofern es um Daten von Arbeitnehmern geht, ist § 32 BDSG daher die vorrangige Vorschrift.
DSGVO: strikte Zweckbindung |
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Mit der ab 25. Mai 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) könnten Fälle wie der vorliegende völlig anders ausgehen. Das Gericht hält selbst fest, dass die zum Zeitpunkt des Urteils maßgebliche EG-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG kein ausdrückliches Verbot einer Zweckänderung von Daten enthält (so Randnummer 42 des Urteils).
Bei der Datenschutz-Grundverordnung sieht dies anders aus. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchstabe b DSGVO dürfen Daten nur für „festgelegte“ und „eindeutige“ Zwecke erhoben werden. Eine Weiterverarbeitung in einer Weise, die nicht mit diesen Zwecken zu vereinbaren ist, ist unzulässig. Bindung an einmal festgelegten Zweck Damit ergibt sich folgendes Problem: Bei dem zunächst festgelegten Zweck ging es eindeutig nur darum, einen Verdacht gegen zwei bestimmte Kassiererinnen aufzuklären. Jetzt sollen die Aufnahmen aber in Bezug auf eine ganz andere Kassiererin verwendet werden. Ist das noch mit dem ursprünglichen Zweck zu vereinbaren? Vieles spricht dafür, dass diese Frage zu verneinen ist. Das hätte zur Folge, dass sich der Arbeitgeber am ursprünglich festgelegten Zweck festhalten lassen muss. Er dürfte die Aufnahmen deshalb nicht dazu verwenden, um gegen eine andere Person rechtlich vorzugehen. Geltung der DSGVO auch für Gerichte Dabei ist hervorzuheben, dass die Datenschutz-Grundverordnung auch für die Tätigkeit von Gerichten gilt. Art. 2, der den sachlichen Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung regelt, enthält für Gerichte keine Ausnahmen. Und Erwägungsgrund 20 hebt hervor, dass die Verordnung „unter anderem für die Tätigkeiten der Gerichte und anderer Justizbehörden“ gilt. Dem beugt sich auch das BDSG-neu. Es zählt die „Organe der Rechtspflege“ zu den öffentlichen Stellen (siehe § 2 Abs. 1 und 2 BDSG-neu). Kein „nationaler Spielraum“ § 26 BDSG-neu („Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses“) kann am Grundsatz der Zweckbindung in Art. 5 Absatz 1 Buchstabe b DSGVO nichts ändern. Er beruht auf Art. 88 DSGVO („Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext“). Dort wiederum ist keinerlei Rede davon, dass der Grundsatz der Zweckbindung aufgeweicht werden dürfte. |
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22. September 2016 – 2 AZR 848/15 ist abrufbar unter 2-AZR-848-15.pdf.