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07. Januar 2025

Mitbestimmung bei Headsets

Junge Frau mit Locken spricht lachend in ihr Headset
Bild: Zero Creatives / iStock / Getty Images
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Inhalte in diesem Beitrag
Verhaltens- und Leistungskontrolle
Unterliegt die Nutzung von Headsets der Mitbestimmung? Und falls dem so ist: Wer darf mitbestimmen? Der Gesamtbetriebsrat oder die Betriebsräte vor Ort in den einzelnen Betrieben? Diese Fragen beantwortet das Bundesarbeitsgericht (BAG) klar. Zu einer wichtigen weiteren Frage sagt es aber kein Wort. Dafür hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) dazu geäußert.

➧ Es geht um Primark

Das BAG bezeichnet den Konzern, um den es geht, in seiner Entscheidung lediglich mit der Abkürzung „P“. Aus umfangreicher öffentlicher Berichterstattung ist jedoch klar, dass damit der Textil-Discounter Primark gemeint ist. Die Obergesellschaft dieses Konzerns hat ihren Sitz in Dublin (Irland). In Deutschland besteht das rechtlich eigenständige Unternehmen Primark Deutschland, das über zahlreiche Betriebe verfügt. Darunter befindet sich eine Filiale mit mehr als 200 Beschäftigten.

➧ Ein Gesamtbetriebsrat existiert

In dieser Filiale ist ein neunköpfiger Betriebsrat gebildet. Manche anderen Filialen verfügen ebenfalls über einen Betriebsrat „vor Ort“. Diese Betriebsräte haben dafür gesorgt, dass für das Unternehmen Primark Deutschland ein Gesamtbetriebsrat besteht. Mit diesem Gesamtbetriebsrat hat Primark Deutschland als Arbeitgeberin eine Gesamtbetriebsvereinbarung geschlossen. Sie trägt den Titel „Einführung und Anwendung von IKT – Systemen, Datenschutz und Informationssicherheit“.

➧ Mit ihm war Primark schon handelseinig

Die Gesamtbetriebsvereinbarung sieht vor, dass „mitbestimmungspflichtige (…) Systeme (…) in Form einer Systemabsprache als Anlage zu dieser Vereinbarung in den mit dieser Vereinbarung geschaffenen Rahmen integriert“ werden. Als das Unternehmen in den deutschen Filialen im Jahr 2021 Headsets einführte, trafen Primark Deutschland und der Gesamtbetriebsrat dafür eine solche „Systemabsprache“.

➧ Die Headsets dienen der internen Kommunikation

Die Headsets dienen der Kommunikation zwischen den Beschäftigten innerhalb der jeweiligen Filiale. Auf der Basis einer dafür passenden Software bilden alle Beschäftigten einer Filiale eine gemeinsame Kommunikationsgruppe. Über eine vor Ort eingerichtete Basisstation sind ihre Headsets miteinander verbunden. Eine Aufzeichnung von Gesprächen oder sonstigen Tönen (etwa von Geräuschen in der Filiale) ist dabei technisch ausgeschlossen.

➧ Eine Benutzungspflicht besteht nur zum Teil

Ausdrücklich zur Benutzung von Headsets verpflichtet sind nur wenige Beschäftigte einer Filiale. Dazu gehören die Führungskräfte (Manager und Supervisor) sowie jeweils ein Beschäftigter in den beiden Bereichen Kassen und Umkleidekabinen, ferner ein Beschäftigter des Aufräum- und Rückgabeteams. Alle anderen Beschäftigten verwenden die Headsets auf freiwilliger Basis. In jeder Filiale ist für sämtliche Beschäftigten ein Headset verfügbar. Wer jeweils welches Headset verwendet und wann dies geschieht, wird nicht registriert.

➧ Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat sind uneins

Zum BAG kam die Angelegenheit nur deshalb, weil sich der Betriebsrat der Filiale mit den 200 Beschäftigten und der Gesamtbetriebsrat nicht einig waren. Der Gesamtbetriebsrat hatte der Nutzung der Headsets durch die „Systemabsprache“ zugestimmt. Das hielt der Betriebsrat der Filiale jedoch für rechtswidrig. Er vertrat die Auffassung, dass er und nicht der Gesamtbetriebsrat in diesem Fall das Mitbestimmungsrecht auszuüben habe. Da eine Einigung nicht zu erzielen war, machte der Betriebsrat der Filiale sein vermeintliches Mitbestimmungsrecht gerichtlich geltend.

➧ Das Mitbestimmungsrecht war unsicher

Der Gesamtbetriebsrat und Primark Deutschland waren offensichtlich davon ausgegangen, dass die Nutzung der Headsets mitbestimmungspflichtig ist. Denn sonst hätte die „Systemabsprache“ zwischen diesen beiden Beteiligten keinen Sinn gehabt. Diese rechtliche Einschätzung bindet die Gerichte jedoch nicht. Und so kam es, wie es vor Gericht manchmal kommt: Das Landesarbeitsgericht als vorherige Instanz verneinte die Mitbestimmungspflicht für die Nutzung der Headsets. Würde man von dieser Rechtsauffassung ausgehen, stünde weder dem Betriebsrat der Filiale noch dem Gesamtbetriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu. Die Arbeitgeberin könnte vielmehr allein über den Einsatz der Headsets entscheiden.

➧ Laut BAG ist das Mitbestimmungsrecht eindeutig

Das BAG bejaht eindeutig, dass ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs.1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) besteht. Nach dieser Vorschrift besteht ein Mitbestimmungsrecht bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung von Beschäftigten zu überwachen. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung des BAG hier erfüllt:

  • Das Headset-System ist eine technische Einrichtung. Denn wenn jemand spricht, digitalisiert es die Sprache automatisch und überträgt sie über die Basisstation an die übrigen aktiven Headsets.
  • Das System ist auch dazu bestimmt, das Verhalten oder die Leistung von Beschäftigten zu überwachen. Nach jahrzehntelanger Rechtsprechung des BAG ist ein System schon dann zur Überwachung „bestimmt“, wenn es dazu geeignet ist. Auf eine subjektive Überwachungsabsicht kommt es dabei nicht an.
  • Die Eignung zur Überwachung ergibt sich daraus, dass die in der Filiale tätigen Führungskräfte die Kommunikation aller Beschäftigten, die ein Headset verwenden, jederzeit mithören können.
  • Auf diese Weise können die Führungskräfte das Verhalten der Beschäftigten ständig überwachen. Dies hat zur Folge, dass die Beschäftigten einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt sind.
  • Dieser Überwachungsdruck besteht ungeachtet des Umstandes, dass die Gespräche nicht aufgezeichnet werden. Vorgesetzte können die sprechende oder die angesprochene Person häufig schon anhand der jeweiligen Stimme und/oder des Gesprächsinhalts identifizieren. Oft dürfte die Kommunikation zudem unter Verwendung der Namen der beteiligten Personen erfolgen.

➧ Damit stellt sich die Frage der Zuständigkeit

Die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts kann von der Logik her nur entweder durch den Betriebsrat der jeweiligen Filiale oder durch den Gesamtbetriebsrat erfolgen. Die Zuständigkeit der beiden Gremien schließt sich gegenseitig aus. Eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist dabei von der gesetzlichen Regelung her die Ausnahme. Sie ist an zwei Voraussetzungen geknüpft:

  • Es muss um eine Angelegenheit gehen, die mehrere Betriebe eines Unternehmens betrifft.
  • Es muss objektiv zwingend erforderlich sein, dass eine betriebsübergreifende, unternehmenseinheitliche Regelung getroffen wird.

➧ Die Zuständigkeit ist praktisch hoch bedeutsam

Ob der Gesamtbetriebsrat zuständig ist oder nicht, hat erhebliche praktische Konsequenzen. Dies gilt vor allem aus der Sicht des Unternehmens, das über mehrere Betriebe verfügt. Sollte der Gesamtbetriebsrat zuständig sein, hat es einen zentralen Ansprechpartner. Ansonsten muss es mit dem Betriebsrat jeder einzelnen Filiale verhandeln.

➧ Laut BAG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig

Dass im vorliegenden Fall der Gesamtbetriebsrat zuständig ist, begründet das BAG kurz und knapp:

  • Das Headset-System ist in sämtlichen Betrieben der Arbeitgeberin eingeführt worden.
  • Es wird zentral betreut und gewartet. Die einzelnen Betriebe der Arbeitgeberin verfügen nicht über eine IT- Abteilung.
  • Dass aus der einzelnen Filiale heraus keine Sprachübertragung erfolgt, hat vor diesem Hintergrund keine Bedeutung.

➧ Scheinbar fehlt jede praktische Konsequenz

Auf den ersten Blick wirkt dieses Ergebnis so, als hätten sich die Beteiligten den ganzen Rechtsstreit sparen können. Denn es bestätigt das, worauf sich Primark Deutschland und der Gesamtbetriebsrat bereits geeinigt hatten: Für den Einsatz des Headset-Systems gilt die „Systemabsprache“, die der Gesamtbetriebsrat und Primark als Arbeitgeberin miteinander vereinbart haben.

➧ Eine wichtige offene Frage kann das noch ändern

Der Eindruck, damit habe sich für den Alltag im Unternehmen und in den einzelnen Filialen alles erledigt, könnte jedoch täuschen. Denn als nächstes wird wohl darüber gestritten, ob die Gesamtbetriebsvereinbarung, in der die Nutzung des Headset-Systems durch eine „Systemabsprache“ einbezogen wurde, überhaupt rechtswirksam ist. Anlass für solche Überlegungen bietet eine neue Entscheidung des EuGH. Sie befasst sich mit dem zulässigen Inhalt von Betriebsvereinbarungen zu Fragen des Datenschutzes.

➧ Betriebsvereinbarungen haben enge Grenzen

In diese Entscheidung hebt der EuGH folgende Aspekte hervor:

  • Die DSGVO erlaubt es zwar, dass „Kollektivvereinbarungen“ Regelungen treffen, die im Verhältnis zur DSGVO „spezifischer“ sind (siehe Art. 88 Abs. 1 DSGVO).
  • Erwägungsgrund 155 zur DSGVO hält ferner ausdrücklich fest, dass auch „Betriebsvereinbarungen“ derartige Kollektivvereinbarungen darstellen.
  • Anders als gerade in Deutschland bisher oft argumentiert wurde, ermöglicht dies aber keine Abschwächung des Schutzes, der sich für betroffene Personen aus den Grundsätzen der DSGVO ergibt.
  • Solche spezifischeren Vorschriften müssen vielmehr insbesondere Art. 5 DSGVO („Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten“), Art. 6 DSGVO („Rechtmäßigkeit der Verarbeitung“) und Art. 9 DSGVO („Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten“) in vollem Umfang beachten.
  • Wird eine Betriebsvereinbarung diesen Anforderungen nicht gerecht, darf sie nicht angewandt werden.

➧ Das BAG konnte vorliegend dazu nichts sagen

Vorliegend konnte das BAG diese Vorgaben des EuGH nicht in seine Entscheidung einbeziehen. Dies beruht zunächst einmal schlicht darauf, dass der EuGH sein Urteil erst am 19.12.2024 verkündet hat, während das BAG seine Entscheidung bereits am 16.6.2024 bekanntgegeben hat.

Doch selbst wenn das BAG die Entscheidung des EuGH schon gekannt hätte, hätte es auf sie nicht eingehen können. Denn Gegenstand des Rechtsstreits war lediglich, ob der Einsatz von Headsets der Mitbestimmung unterliegt und wem dieses Mitbestimmungsrecht zusteht, nämlich den Betriebsräten der einzelnen Filialen oder dem Gesamtbetriebsrat. Ob die Gesamtbetriebsvereinbarung als solche den Vorgaben der DSGVO entspricht, war für die Entscheidung dieser Fragen nicht relevant. Deshalb konnte das BAG dazu von vornherein kein Wort sagen.

➧ Hier sind die Entscheidungen zu finden

Der Beschluss des BAG vom 16.7.2024 mit dem Aktenzeichen 1 ABR 16/23 ist abrufbar unter 1 ABR 16/23 – Das Bundesarbeitsgericht.
Das Urteil des EuGH vom 19.12.2024 mit dem Aktenzeichen C-65/23 ist abrufbar unter CURIA – Dokumente. Die rechtlichen Grenzen von Betriebsvereinbarungen sind in den Rn. 51-60 des Urteils erörtert.

Dr. Eugen Ehmann

Verfasst von
Dr. Eugen Ehmann
Dr. Eugen Ehmann
Dr. Eugen Ehmann ist ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet des Datenschutzes in Unternehmen & Behörden. Er ist Herausgeber eines renommierten DSGVO-Kommentars und Autor zahlreicher Beiträge in der Datenschutz PRAXIS sowie in vielen weiteren Datenschutz-Veröffentlichungen. Außerdem moderiert er seit 2003 die IDACON , den renommierten Datenschutz-Kongress.

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2 Kommentare
9. Januar 2025 | 15:10
Markus
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    Antwort der Redaktion
    9. Januar 2025 | 15:13
    Die Redaktion (Antwortet auf Markus)
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