Weiterleitung von Mails nach Hause – Rauswurf!
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➧ Der „Täter“ ist Vorstand einer Aktiengesellschaft
Der Mensch, um den es geht, war schon seit 2013 Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft. Gegenstand dieses Unternehmens sind unter anderem Internetdienstleistungen sowie der Verkauf von EDV-Anlagen und Software. Offensichtlich war man mit dem Vorstandsmitglied an sich zufrieden. Denn der Aufsichtsrat beschloss Ende 2017, die Bestellung zum Vorstand für eine weitere Tätigkeitsperiode bis zum 14.9.2022 zu verlängern.
➧ Es geht um die Weiterleitung von neun Mails
Bei insgesamt neun Mails, die das Vorstandsmitglied von Ende April bis Ende Juni 2021 von seinen dienstlichen Mailaccount aus versandte, sah es jeweils ein CC an seine private Mailadresse vor. Der Mann wollte diese Mails zur Hand haben, um sich damit im Bedarfsfall gegen Haftungsansprüche der Aktiengesellschaft verteidigen zu können. So lautete zumindest die Erklärung für sein Vorgehen, die er später vor Gericht präsentierte.
➧ Der Aufsichtsrat greift durch
Ende September 2021 bemerkte ein neu bestelltes Vorstandsmitglied die geschilderten Aktivitäten. Dieses neue Vorstandsmitglied informierte den Aufsichtsrat. Der beschloss am 11.10.2021, den Betroffenen mit sofortiger Wirkung aus dem Vorstand abzuberufen. Zugleich kündigte der Aufsichtsrat den Dienstvertrag mit ihm außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund.
➧ Es geht um zwei Kündigungen
Ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft ist auf der Basis eines Dienstvertrages tätig, der zwischen ihm und der Aktiengesellschaft geschlossen wird. Dieser Vertrag bildet die Grundlage dafür, dass dann die Bestellung zum Vorstandsmitglied erfolgt. Der Abschluss des Dienstvertrages und die Bestellung zum Vorstandsmitglied sind also zwei rechtlich getrennte Vorgänge. Konsequenterweise gab es daher zwei Kündigungen, nämlich die Kündigung der Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Kündigung des Dienstvertrages.
➧ Zuständig sind die Zivil-, nicht die Arbeitsgerichte
Der Betroffene kann sowohl die Kündigung des Dienstvertrages als auch seine Abberufung aus dem Vorstand gerichtlich überprüfen lassen. Zuständig dafür sind die „normalen Zivilgerichte“ (also etwa Landgericht und Oberlandesgericht), nicht die Arbeitsgerichte. Dies liegt daran, dass es sich bei dem erwähnten Dienstvertrag nicht um einen Arbeitsvertrag handelt. Deshalb kam es im vorliegenden Fall zu einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München.
➧ Das Gericht sieht einen Verstoß gegen die DSGVO
In wenigen Sätzen begründet das Gericht, warum die Weiterleitung der neun Mails gegen die DSGVO verstoßen hat:
- Die Weiterleitung der Mails an den privaten Account und ihre Speicherung dort stellt eine Verarbeitung gemäß Art. 4 Nr.2 DSGVO dar.
- Eine Einwilligung der betroffenen Personen (Art. 6 Abs. 1 Buchstabe a DSGVO ) lag nicht vor.
- Die Weiterleitung und Speicherung waren auch nicht erforderlich, um berechtigte Interessen des Klägers zu wahren. Damit waren sie nicht durch Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f DSGVO gerechtfertigt.
- Im Ergebnis waren die Weiterleitung und die Speicherung somit rechtswidrig.
➧ Auch eine besondere Sorgfaltspflicht ist verletzt
Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft haben eine besondere Sorgfaltspflicht. Sie müssen vereinfacht gesagt darauf achten, dass in der Aktiengesellschaft alle gesetzlichen Vorschriften beachtet werden. Eine besondere Ausprägung dieser Sorgfaltspflicht ist die „Legalitätspflicht“. Sie bedeutet, dass sich ein Vorstandsmitglied auch selbst an alle bestehenden gesetzlichen Regelungen halten muss.
➧ Ihre Herleitung ist rechtlich kompliziert
Abgeleitet werden die Sorgfaltspflicht und die Legalitätspflicht aus einer Vorschrift des Aktiengesetzes, in der diese Pflichten jedoch nicht ausdrücklich genannt sind. Es handelt sich dabei um § 91 Abs.1 Satz 1 Aktiengesetz. Diese Vorschrift lautet: „Der Vorstand hat dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Handelsbücher geführt werden.“. Im Zuge einer jahrzehntelangen Rechtsentwicklung hat die Rechtsprechung auf der Basis dieser scheinbar rein formalen Vorschrift die genannten Pflichten entwickelt.
➧ Manches ähnelt den Maßstäben des Arbeitsrechts
Wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen will, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Es muss ein Regelverstoß vorliegen, der schon „an sich“ einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen kann.
- Eine umfassende Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers muss zu dem Ergebnis führen, dass dem Arbeitgeber die Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist.
➧ Das gilt aber nicht für die soziale Schutzfunktion
Diese Argumentationsstruktur kommt auch zur Anwendung, wenn es um die Kündigung des Dienstvertrages eines Vorstandsmitglieds geht. Allerdings bleibt dabei die soziale Schutzfunktion außer Betracht, die im Arbeitsrecht eine wichtige Rolle spielt. Wichtige Konsequenz daraus: Eine Abmahnung als mögliche mildere Sanktion ist nicht vorgesehen (siehe Rn. 92 der Entscheidung).
➧ Ein wichtiger Grund für eine Kündigung liegt vor
Dass ein wichtiger Grund für eine Kündigung vorliegt, bringt das Gericht mit folgender Formulierung auf den Punkt: „Ein Vorstand ist … nicht anders zu beurteilen als ein Arbeitnehmer, dem es ohne Einverständnis des Arbeitgebers ebenso verwehrt ist, sich betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen.“ (Rn. 71 der Entscheidung).
➧ „Prophylaktische Selbsthilfe“ ist verboten
Keine Gnade fand beim Gericht das Argument des Betroffenen, er habe vorsorglich Unterlagen zusammenstellen wollen, um sich gegen etwaige Haftungsansprüche der Aktiengesellschaft wehren zu können. Das Gericht beurteilt dies wie folgt (Rn. 70 der Entscheidung):
- Solange der Kläger noch Vorstand war, hatte er ohnehin Zugriff auf die Unterlagen der Aktiengesellschaft.
- Nach seiner Abberufung als Vorstand hat er einen gesetzlichen Anspruch auf Einsicht in die Unterlagen, sofern er sie für seine Verteidigung benötigen sollte (siehe § 810 BGB).
- Die Gefahr, dass Unterlagen zur Unzeit vernichtet werden, besteht nicht. Dagegen schützen die handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungspflichten, denen eine Aktiengesellschaft unterworfen ist.
➧ Die Abwägung rechtfertigt die Kündigung
Nach Auffassung des Gerichts ist es der Aktiengesellschaft nicht zuzumuten, noch länger mit dem Vorstandsmitglied zusammenzuarbeiten. Zu seinen Lasten führt das Gericht vor allem diese drei Aspekte an:
- Die weitergeleiteten E-Mails enthielten äußerst sensible Daten, nämlich Provisionspläne, Gehalts- und Provisionsabrechnungen, Compliance-Vorgänge und Auseinandersetzungen zwischen Vorstandsmitgliedern der Aktiengesellschaft. Wichtig: Den Begriff „sensibel“ versteht das Gericht hier nicht im Sinn von Art. 9 DSGVO, sondern umfassender.
- Das gekündigte Vorstandsmitglied ist ausgesprochen systematisch vorgegangen. Neun weitergeleitete Mails in einem Zeitraum von nur gut zwei Monaten sind aus der Sicht des Gerichts eine hohe Anzahl.
- Das rechtswidrige Handeln des gekündigten Vorstandsmitglieds war ausdrücklich gegen die Aktiengesellschaft gerichtet. Denn es sollte dazu dienen, seine Argumentationsbasis für mögliche Haftungsprozesse zu verbessern.
➧ Auch Arbeitnehmer sollten aufpassen
Viele Argumente aus der vorliegenden Entscheidung lassen sich auf Fälle übertragen, bei denen es um die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Verstößen gegen die DSGVO geht. Die Weiterleitung von dienstlichen Mails an den eigenen privaten Mailaccount ist im Normalfall ein ernster Datenschutzverstoß. Je nach Umständen des Einzelfalls kann das auch zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.
➧ Eines ist bei Arbeitnehmern aber völlig anders
Anders als bei einem Vorstandsmitglied müsste der Arbeitgeber bei einem Arbeitnehmer immer prüfen, ob nicht eine Abmahnung ausreicht. Bei einem erstmaligen Verstoß wird dies sehr häufig, wenn nicht sogar in aller Regel der Fall sein. Dies gilt vor allem dann, wenn die Weiterleitung nicht irgendwelchen bösen Zwecken diente. Kein Arbeitnehmer muss also befürchten, dass ihm der Arbeitgeber wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO „einfach so“ kündigen kann.
➧ Hier ist das Urteil zu finden
Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 31.7.2024 mit dem Aktenzeichen 7 U 351/23 e ist abrufbar unter OLG München, Endurteil v. 31.07.2024 – 7 U 351/23 e – Bürgerservice.